Warum es so schwer ist, ein Trauma loszulassen

 

Wir sind die Summe der Geschichten, die wir erzählen.

 

Was ist die Motivation überhaupt jemandem etwas zu erzählen?

 

In meinen Augen sind es Gründe wie: Anerkennung, Bestätigung, Trost… Also quasi um unsere Bedürfnisse, die wir haben, zu erfüllen.

 

Denn ich erzähle nicht jemandem ein Kuchenrezept, der nicht danach gefragt hat, denn der würde sagen, aha, warum erzählst du mir das jetzt?!?

 

 

 

Meine Nachbarin erzählt mir von ihrer Kindheit. Krasse Sachen sind da abgegangen, sie hat schon einige Trauma Therapien mitgemacht, aber loslassen kann sie das nicht. Die Therapeutin hat sogar gesagt, dass andere ihrer Patienten vielleicht gerade mal 10% von dem durchgemacht hat, wie sie durchgemacht hätte.

 

Und das erzählt sie mit einer gewissen Portion Stolz in ihrer Stimme.

 

Ich denke, genau daran liegt der Knackpunkt. Solange ich Anerkennung für diese Geschichte bekomme, solange ich regelrecht stolz auf meine Stärke bin, wie ich das durchgestanden habe, solange lass ich das doch nicht los. Das wäre ja wie wenn ein Hund, seinen Hundeblick aufgibt. Was funktioniert, das wird behalten, bewusst und unterbewusst.

 

 

 

Wenn ich aber dennoch mein Trauma loslassen will, muss ich eine andere Geschichte erzählen, die mich genauso stolz auf mich macht und die mir genauso Anerkennung, Trost, Bestätigung, Sympathie von anderen gibt.

 

 

 

Mal ganz nüchtern betrachtet, bekomme ich Anerkennung für mein Trauma, nicht für das was ich erreicht habe, sondern für die Leistung des Täters. Denn ein Trauma erlebt man in der passiven Rolle, der Opferrolle. Also rühme ich mich quasi mit den Taten anderer, die ich nur ausgehalten habe.

 

Um also mein Trauma loszulassen, sollte ich ein Assessment machen, was ICH denn alles erreicht habe und wenn es das Trauma in meinen Augen nicht aufwiegt, muss ich in den sauren Apfel beißen und anfangen Dinge zu tun und zu erreichen, die mich stolz machen. Damit ich in der Lage bin andere Geschichten zu erzählen um das selbe Bedürfnis zu erfüllen.

 

 

 

Ich selber weiß auch, wie leicht es ist, das eigene Nicht-Erreichen von Vorhaben auf ein Kindheitstrauma zu schieben. Schließlich hat jeder echt scheiß Zeiten durchgemacht. Und auch ich war davon überzeugt, dass mein Leben so scheiße ist, wie es damals war, weil meine Mutter früher Punkt Punkt Punkt. Ich als Opfer des Traumas kann ja nichts dafür. Hat mich traumatisiert für das ganze Leben. Kann mein Leben nicht so leben, wie ich es möchte, wegen eben diesem Trauma. Und ich war sauer auf meine Mutter, und wie sauer ich war. Selbst für alles, was im Alter von 30 Jahren in meinem Leben noch schief lief, hab ich ihr die Schuld gegeben, schließlich hatte sie mich ja damals traumatisiert und ich kann ja die Vergangenheit nicht rückgängig machen, also muss ich bis zu meinem Lebensende darunter leiden.

 

 

 

Ganz ehrlich, wer ist die einzige Person, die mein Leben lebt? Ich. Wer entscheidet, welche Geschichten ich erzähle? Ich. Wer entscheidet was ich erreiche? Ich. Wer ist schuld, wenn ich etwas nicht erreiche. ICH! Rühme ich mich mit dem Achievment anderer, wenn ich das Wort Trauma in den Mund nehme! Aber sowas von!

 

Sehe ich ein, dass es endlich Zeit ist, selbst was zu erreichen um neue Geschichten erzählen zu können?!

 

Ja, dank meiner Mutter und dem was sie damals in meiner Kindheit gemacht hat, hatte ich meine eigene Cafe Bar, hab ein Buch geschrieben, meinen eigenen Blog, eine Selbsthilfegruppe geleitet, eine MeditationsCD gemacht, bin Hypnotiseur geworden und helfe Leuten Veränderungen zu machen, die sie alleine nicht schaffen, bin Latte-Art Künstler und habe all meinen Besitz auf einen Koffer reduziert und reise um die Welt und lebe mein Leben nach meinen Vorstellungen.

 

Das sind mittlerweile die Geschichten, die ich erzähle und für die ich Anerkennung bekomme. MEINE eigenen Leistungen. Dass ich ein Trauma in meiner Kindheit hatte, ist mittlerweile so irrelevant dagegen, dass ich weder dran denke noch es erwähnen muss.

 

Vor 4 Jahren wäre noch auf meinem Grabstein gestanden: "Die mit dem Trauma". Heute brauch ich einen größeren Grabstein, weil sonst gar nicht alles draufpasst, was mich ausmacht.